(musikalischer) Widerstand gegen Putin II?

Nachdem ich in meinem Beitrag vom 8.5.22 am Ende euch die Elektroband Ic3peak aus Moskau vorgestellt habe, möchte ich euch nun mit „Shortparis“ eine weitere Band vorstellen, die ihren Protest in Text und Bildern ausdrückt.

Shortparis stammen aus St. Petersburg und existieren seit 2012. Musikalisch recht vielseitig, lässt sie sich ihr Stil als eine Mischung aus Rock, Pop Noir, Underground, Art Punk und Folk beschreiben. Die Band besteht aus: Nikolai Komyagin(Gesang), Alexander Ionin (Gitarre, Bass, Akkordeon), Pavel Lesnikov (Schlagzeug, Sampling), Danila Kholodkov (Schlagzeug, Percussion) und Alexander Galyanov (Gitarre, Keyboards).

Shortparis Stilmittel sind mehrdeutige Texte und eine gewaltige Bildsprache. Das „Jablonnyj sad“ Video wurde nicht zuletzt einer größeren Menge an Menschen bekannt, weil es gewissermaßen den Krieg vorwegnahm. Ein Veteranen-Chor, mit Orden geschmückt und in Uniform, Chorgesang zu Akkordeonmusik, das hinterlässt Eindruck und spricht eine eigene Sprache, zumal diese Sowjetästhetik gezielt gegen sich selbst eingesetzt wird durch die Band. Gegen die Mobilisierung zum Krieg.

Das Lied“ Яблонный Сад“ (übersetzt: Apfelgarten) mit dem Veteranen Chor ‘F. M. Kozlova’, dessen Mitglieder im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpft haben. Unter dem Video findet ihr eine deutsche Übersetzung des Textes.

Shortparis

Liedtext: Apfelgarten

Oh, meine Traurigkeit
Ich bin nicht hier gewesen
Wo ist die Grenze, das Ende (oder: der Rand)?*
Wer hat sie gesehen?
Und bei wem bist du jetzt,
bei wem bist du jetzt?

Das große Land schläft
Der Abend scheint ewig zu dauern
Über der Kathedrale des Kremls
erhebt sich der Wind

Der Fisch sucht nach Netzen
Der Körper nach Ereignissen
Die Kugel ist klüger geworden
Während des Blutvergießens
Der Soldat ist dir Sohn und Bruder,
Wie er auf der Straße ein Brötchen ist
Und sich am süßen Geschmack erfreut
Der Garten mit den Apfelbäumen blüht wie Honig.

Oh, meine Traurigkeit
Wer sagt die Antwort
Wo ist die Grenze, das Ende?
Wer hat sie gesehen?
Wohin kriecht die Schlange?
Wer hat sie gesehen?
Und zu wem gehörst du inzwischen?

Die Heimaterde schläft
Der Abend ist gelaufen
Über der Kathedrale des Kremls
Steigt Asche auf
Wenn der Soldat auf der Straße
Ein Brötchen ißt
Und sich daran erfreut, wie süß es ist,
Ist er für dich wie ein Sohn und ein Bruder
Der blühende Apfelgarten steht in einer Blutlache.

Ach, du meine Traurigkeit
Ich war hier nicht.
Wo ist die Grenze, das Ende?

Meine Traurigkeit
Ich bin nicht hier gewesen
Wo ist die Grenze, wo der Rand?
Wer hat es gesehen?
Und wohin gehörst du jetzt?
Bei wem bist du jetzt?

Das große Land schläft,
wie ewig erscheint der Abend
Über die Kathedrale des Kremls
geht ein

Der Fisch sucht nach Netzen
Der Körper nach Ereignissen
Die Kugel ist klüger geworden
Während des Blutvergießens
Der Soldat ist dir Sohn und Bruder,
Wie er auf der Straße ein Brötchen ist
Und sich am süßen Geschmack erfreut
Der Garten mit den Apfelbäumen blüht wie Honig.

Oh, meine Traurigkeit
Wer sagt die Antwort
Wo ist die Grenze, das Ende?
Wer hat sie gesehen?
Wohin kriecht die Schlange?
Wer hat sie gesehen?
Und zu wem gehörst du inzwischen?

Die Heimaterde schläft
Der Abend ist gelaufen
Über der Kathedrale des Kremls
Steigt Asche auf
Wenn der Soldat auf der Straße
Ein Brötchen ißt
Und sich daran erfreut, wie süß es ist,
Ist er für dich wie ein Sohn und ein Bruder
Der blühende Apfelgarten steht in einer Blutlache.

Ach, du meine Traurigkeit
Ich war hier nicht.
Wo ist die Grenze, das Ende?

*Anmerkung: Mehren Interpretationen des Textes nach, ist mit dem Land am Rand(u kraja) ein Bezug zur Ukraine hergestellt. Auch wird von Russland die Präsenz der russischen Truppen seit 2014 geleugnet, wo mit einer Aussage (ich bin nicht hier gewesen) Bezug genommen wird.

Quelle: https://inesudelnow.com/2022/03/13/der-bluhende-apfelgarten-voller-blut/

Widerstand gegen Putin?

Russlands Fahnen schwingende Autokorso Brigaden dieser Tage muss ich nicht gut finden, genauso wenig wie ich Diskriminierung gut finde. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schnell Menschen aufgrund von welchem Merkmal auch immer in eine Diskriminierung-Schublade gesteckt werden. Gründe gibt es viele. Das Geschlecht, die Identität, die Sexualität, Nationalität, körperliche Merkmale, Meinungen usw.

Als Corona bei uns in Deutschland 2020 Fahrt aufnahm und ein Lockdown angekündigt wurde, nahm ich an einem Nachmittag bewusst Abschied in einem Bäckerei-Kaffee. Abschied von meiner liebgewonnenen Gewohnheit, Kaffee in einer Bäckerei trinken zu können, wann ich wollte. Abschied auf unbestimmte Zeit.

Ich hörte ungewollt das Gespräch einer älteren Männerrunde, da diese sehr laut sprach. Das war sehr wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass drei der vier Herren ein Hörgerät trugen. Thema war, wie hätte es auch anders sein können: Corona. Die Herrenrunde war sich einig, nicht mehr zum „asiatischen Buffet“ gehen zu wollen, da der „Chinese“ daran Schuld wäre an dieser Seuche.

Nun ist es also der Russe? Diskriminierung endet nie gut. Sich dagegen zu behaupten, ist verständlich. Was ich nicht verstehe, ist das Schwenken der russischen Fahne, die aktuell für einen brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine steht. Ich sehe wenig Distanz zu Putin. Ist es nicht so, dass Putin sein eigenes Volk am meisten diskriminiert? Ein falsches Wort, eine falsche Farbe. Strafe, Gefängnis und manchmal auch Gift. Und trotzdem: Viel „Mimimi „und „ich bin stolz darauf, Russe zu sein!“

Liebe diskriminierte Russinnen und Russen, lasst euch den Stolz auf euer Land nicht nehmen. Stolz ist meiner Meinung nach eine persönliche und bisweilen für andere schwer nachzuvollziehende Angelegenheit. Aber schwenkt ihr beim nächsten Mal die Weiß-blau-weiße Farbe des russischen Widerstands, wenn ihr einen Autokorso veranstaltet und gegen Diskriminierung herumfahrt?

Widerstand in Russland gibt es kaum noch, nachdem in den letzten Wochen fast alle Protestierenden verhaftet und sanktioniert worden sind. Der Protest existiert jedoch immer noch. Hier und da findet man in der Öffentlichkeit grüne Bänder an Geländern und Büschen und Bäumen. Grün entsteht als Farbe, wenn man Blau und Gelb vermischt. Aber auch in der Musikkultur ist Protest vorhanden. Dieser drückt sich über die Bildersprache und über das „zwischen den Zeilen hören“ aus, da alles von den Behörden zensiert wird.

Ic3peak ist eine seit 2013 existierende Elektroband aus Moskau. In dem Lied „Смерти Больше Нет“ (übersetzt: Keine Tode mehr) singt Sängerin Nastya Kreslina aus der Perspektive eines Milizangehörigen der Bereitschaftspolizei vor dem Gefängnishauptquartier des FSB (Föderaler Sicherheitsdienst) in Lubjanka. Der Text des Liedes lautet: „Zusammen mit anderen wirst du auf dem Platz geschlagen werden“ und „Ich gehe nach draußen, um eine Katze zu streicheln, während ein Polizeiauto sie überfährt.“ (Quelle Wikipedia)

Bandpage: https://www.ic3peak.world/tour